Wohnungsnot – wirklich?

Da 2023 ein Wahljahr ist, ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt in aller Munde. Zur Linderung der «Wohnungsnot» werden von Politikern Rezepte angeboten, die bei den Wahlen im Herbst Stimmen sichern sollen. Doch wie steht es um den Wohnungsmarkt wirklich?

Vom Mietermarkt …

Vor weniger als drei Jahren lieferte der Wohnungsmarkt noch Schlagzeilen wie «In der Schweiz stehen immer mehr Wohnungen leer» (NZZ vom 5.10.2020) oder «Mietwohnungen: Hier wird an der Nachfrage vorbeigebaut» (Blick vom 4.10.2020). Der Wohnungsleerstand befand sich auf Rekordniveau. Die Leerwohnungsquote betrug 1,72% und lag damit zwar unter jener von 1997 und 1998 (1,82% bzw. 1,85%), doch die Zahl der leerstehenden Wohnungen war mit 78 832 (66 320 davon Mietwohnungen) so hoch wie noch nie zuvor in der Schweiz. Bewirtschaftungsunternehmen mussten den Immobilieneigentümern Massnahmen zur Reduktion der Leerstände präsentieren und trotzdem wurden schweizweit 2020 noch fast 50'000 Wohnungen neu erstellt.



… zum Vermietermarkt

Dieses Bild hat sich seither dramatisch und in einem für die Schweiz ungewohnten Tempo verändert. Dazu beigetragen haben die verschiedensten Faktoren auf beiden Seiten des Immobilienmarktes. Seit dem 2. Quartal 2020 ist gesamtschweizerisch ein klarer Aufwärtstrend der Mietwohnungsnachfrage zu beobachten (Indexanstieg um 11,5%). Das Mietwohnungsangebot hat sich im gleichen Zeitraum dagegen um rund 52'000 (31,1%) reduziert. Als Folge davon präsentiert sich das Verhältnis von Mietwohnungsangebot und -nachfrage heute für die Vermieter so vorteilhaft wie noch nie seit Messbeginn der Mietwohnungsnachfrage (vgl. Abbildung 1).

Höhere Nachfrage

Der Anstieg der Mietwohnungsnachfrage hat verschiedene Ursachen. Wie bereits öfters berichtet («Kein Einbruch der Nachfrage»), hat die Covid-19-Pandemie zu einer Neubewertung des Wohnens geführt, was die Wohnungsnachfrage gestützt hat. Das relativ zur EU höhere Wirtschaftswachstum in der Schweiz hat zu einem erneuten Anstieg der Nettozuwanderung beigetragen, was in der Entwicklung der Mietwohnungsnachfrage deutlich spürbar war. Der Krieg in der Ukraine führte darüber hinaus zu einer zu_ätzlichen Einwanderung, die sich verzögert auch auf den Mietwohnungsmarkt auswirkt. Und schliesslich folgt aus dem Zinsanstieg der vergangenen Monate, dass Kaufen nicht mehr generell günstiger ist als Mieten («Eigenheimnachfrage quo vadis?»), was die Wohnungsnachfrage Richtung Mietwohnungen verschiebt.



Geringeres Angebot

Diesem Anstieg der Nachfrage steht ein deutlicher Rückgang des Mietwohnungsangebots gegenüber. Bereits seit dem 2. Quartal 2019 nimmt die Zahl der angebotenen Mietwohnungen auf dem Markt tendenziell ab. Auch auf dieser Marktseite hat der Trend verschiedene Ursachen. Ein gewisser Einfluss mag ebenfalls die Coronapandemie gehabt haben, weil der Wohnungsneubau durch die Lieferketten-Problematik tendenziell gebremst wurde. Eine genauere Betrachtung der Baugesuche und Baubewilligungen zeigt jedoch, dass sich der Rückgang beim Wohnungsneubau weit vor dem Ausbruch der Pandemie abzuzeichnen begann, nämlich bereits 2017. Die seitdem rückläufige Zahl an Baugenehmigungen schlug sich ab 2019 in einer geringeren Neubautätigkeit nieder, und ist im Grunde genommen nichts anderes als die Reaktion der Marktteilnehmer auf die steigenden Ungleichgewichte auf dem Wohnungsmarkt (Stichwort «Schweinezyklus»).



Anhaltend tiefe Bautätigkeit

Der Rückgang der Baugesuche im Wohnungsneubau ab 2017 und der Neubautätigkeit ab 2019 sind also ökonomisch gut nachvollziehbar. Inzwischen haben sich die Voraussetzungen aber wie geschildert grundlegend verändert, und der starke Rückgang der Wohnungsleerstände liesse eigentlich ein Ansteigen der Bauabsichten erwarten. Die Experten der Credit Suisse prognostizieren dagegen einen weiteren Rückgang der Neubautätigkeit auf 42'000 Wohnungen pro Jahr in den Jahren 2023 und 2024. Als Ursache dafür vermuten sie wohl nicht zu Unrecht ein Versagen der Politik bei der Umsetzung des revidierten Raumplanungsgesetzes (vgl. Studie «Schweizer Immobilienmarkt 2023», Credit Suisse).

Folgen für den Wohnungsmarkt

Der absehbare Rückgang des Mietwohnungsangebots in Kombination mit dem beobachtbaren Anstieg der Mietwohnungsnachfrage lassen einen weiteren Rückgang der Leerstände erwarten. Die Angebots- und Nachfrageindizes mit Basis im 1. Quartal 2014 haben sich im 4. Quartal 2022 zum ersten Mal seit 2014 wieder gekreuzt (Abbildung 2). Es braucht deshalb nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, dass die Leerwohnungsquote bei der nächsten Leerwohnungszählung im Sommer 2023 unter jene vom Sommer 2014 (1,07%) zu liegen kommt. Auch wenn damit immer noch nicht von «Wohnungsnot» gesprochen werden sollte, so ist dennoch eine weitere Verengung des Marktes abzusehen.



Rezepte gegen die Wohnungsknappheit

Diese Verengung des Mietwohnungsmarktes ist bereits heute in einem Druck auf die Mietwohnungspreise im freien Markt spürbar. Die absehbare Erhöhung des Referenzzinssatzes wird darüber hinaus für eine Erhöhung der Mieten im Wohnungsbestand sorgen. Kein Wunder deshalb, versuchen Politiker von links bis rechts mit Rezepten gegen die «Wohnungsnot» auf Stimmenfang zu gehen. Die dabei geforderten Massnahmen reichen von einer Teilverstaatlichung des Wohnungsmarktes bis zu einem Stopp der Zuwanderung und zielen mit gewohnter Regelmässigkeit an den tatsächlichen Problemen vorbei oder haben Nebenwirkungen, deren negativen Folgen weit über die Folgen der «Wohnungsnot» hinausgehen würden. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass der von Bundesrat Parmelin einberufene runde Tisch sich den wirklichen Themen (Stichworte: Schleppende Verdichtung, Einsprachepraxis, Allokationswirkungen des Mietrechts etc.) annimmt und für einmal rasch handelt.

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