Sichtbar gemachte Gentrifizierung

Die «Seefeldisierung» der Zürcher Stadtquartiere schreitet voran, wie eine Analyse anhand der neu überarbeiteten Sinus-Milieus zeigt. Die Milieus der Unterschicht werden nicht nur im Zürcher Trendquartier verdrängt.

Gentrifizierung des Seefelds

Als ich in den Achtzigerjahren nach Zürich zog, war Wohnraum knapp. Die städtische Leerstandsziffer lag auf einem ähnlich tiefen Niveau wie heute und auf dem Hirschenplatz fanden am Donnerstag regelmässig «Wohnungsnot-­Demos» statt. Mein erstes Studentenzimmer war eine Dachkammer an der Feldeggstrasse im Zürcher Stadtkreis 8 – für 280 CHF pro Monat. Das Seefeld war damals keine begehrte Wohngegend. Der Drogenhandel prägte das Quartier und an der Dufourstrasse florierte der Strassenstrich. In den Neunzigerjahren trug die Erweiterung des Bahnhofs Stadelhofen dazu bei, dass sich das Image des Quartiers verbesserte. Lange Zeit vernachlässigte Liegenschaften wechselten den Besitzer und wurden saniert. Oder sie wurden zugunsten von Neubauten abgerissen. Heute gehört das Quartier am rechten Zürichseeufer zu den beliebtesten und teuersten Wohngegenden der Schweiz.

Mit diesem Wandel einher ging eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Der im Fachjargon «Gentrifizierung» genannte Prozess bezeichnet die Verdrängung einkommensschwacher durch einkommensstarke Haushalte aufgrund von immobilienwirtschaftlichen Aufwertungen. Die Analyse der Bevölkerungsstruktur mittels Sinus-­Milieus zeigt, wie weit dieser Veränderungsprozess im Kreis 8 heute fortgeschritten ist (vgl. Abbildung 1, linke Seite). Weit übervertreten sind die Milieus der Oberschicht und der oberen Mittelschicht, insbesondere die Postmateriellen. Im Vergleich zur Schweizer Bevölkerung ebenfalls übervertreten ist das Milieu der Kosmopolitischen Individualisten. Weniger zahlungskräftige Milieus wurden allmählich verdrängt und sind heute im Seefeld klar untervertreten. Auch Studenten in Dachkammern werden wohl weniger häufig anzutreffen sein als früher.



Nicht nur im Seefeld

Solche Gentrifizierungsprozesse sind keineswegs ein neues Phänomen oder auf die Stadt Zürich beschränkt. Erstmals beschrieben wurden sie in den 1960er­-Jahren von Ruth Glass, die sich mit der Veränderung der Einwohnerstrukturen im Londoner Stadtteil Islington auseinandergesetzt hat. Auch in Islington wurden weniger zahlungskräftige Haushalte nach und nach aus einem Viertel verdrängt, das erst hip und dann saniert wurde. Dabei sind Ursache und Wirkung nicht immer klar auseinanderzuhalten. Die Image-­Verbesserung eines Quartiers kann dazu führen, dass neue, wohlhabendere Schichten zuziehen möchten, was den Immobilienbesitzern erlaubt, zu sanieren oder neu zu bauen. Auf der anderen Seite steigen durch die Sanierungen und Neubauten die Wohnungspreise, was es nur noch besser Verdienenden erlaubt, im aufgewerteten Quartier eine Wohnung zu finden.

Betrachtet man etwa die aktuelle Milieu­-Struktur der Wohnungsnachfrage im Zürcher Stadtkreis 4 (vgl. Abbildung 1, rechte Seite), so unterscheidet sie sich kaum von jener der heutigen Bewohner des Stadtkreises 8. Ehemals ausserhalb der Stadtgrenzen gelegen, wurden im Kreis 4 früher Tierkadaver («Cheiben») entsorgt, weshalb er auch «Chreis Cheib» genannt wird. Heute suchen dort Vertreter der Oberschicht und der oberen Mittelschicht nach Wohnungen.

Abbildung 1: Einwohnermilieus im Stadtkreis 8 (links) und Nachfragemilieus im Stadtkreis 4 (rechts); Quellen: KünzlerBachmann Directmarketing, Realmatch360
Abbildung 1: Einwohnermilieus im Stadtkreis 8 (links) und Nachfragemilieus im Stadtkreis 4 (rechts); Quellen: KünzlerBachmann Directmarketing, Realmatch360

«Seefeldisierung»

Vergleicht man die erwähnte Milieu­-Struktur der Wohnungssuchenden im Kreis 4 nun mit der Milieu-Struktur der ansässigen Bevölkerung (vgl. Abbildung 2, linke Seite), wird klar, dass der Gentrifizierungsprozess, der im Seefeld zu beobachten war, auch andere Zürcher Stadtquartiere erfasst hat. Vergleicht man die aktuelle Bevölkerungsstruktur im Kreis 4 mit der gesamten Schweiz, zeigt sich eine Dominanz des progressiv orientierten Mittelstands. Die Gesellschaftlichen Leitmilieus sind hingegen noch unterrepräsentiert – deutlich bei den Konservativ­-Arrivierten, tendenziell bei den Postmateriellen und Performern.

Die Unterschiede zwischen den Milieus der ansässigen Bevölkerung (Einwohnermilieus) und jenen der Wohnungssuchenden (Nachfragemilieus) macht die rechte Seite der Abbildung 2 deutlich. Die sogenannte Milieudynamik zeigt auf, wie sich die Bevölkerungsstruktur in Zukunft verändern wird, sollten die Wohnungssuchenden im Kreis 4 tatsächlich fündig werden. Auch wenn es nicht von allen gleich gern gehört wird, ist es sicher nicht falsch, von einer fortschreitenden «Seefeldisierung» des «Chreis Cheib» zu sprechen.

Abbildung 2: Aktuelle Einwohnermilieus und Milieudynamik im Stadtkreis 4; Quellen: KünzlerBachmann Directmarketing, Realmatch360
Abbildung 2: Aktuelle Einwohnermilieus und Milieudynamik im Stadtkreis 4; Quellen: KünzlerBachmann Directmarketing, Realmatch360

Milieu-Analysen

Daten zu den Einwohner­- und Nachfragemilieus können helfen, solche Gentrifizierungsprozesse sichtbar zu machen. Sie können auch dazu dienen, sich abzeichnende Veränderungen zu antizipieren und politisch zu begleiten.

Aber auch für die Immobilienwirtschaft sind derartige Analysemöglichkeiten wertvoll. Vor allem wenn die Veränderungen nicht so augenfällig sind wie im Kreis 4, können sie Entwickler und Investoren dabei unterstützen, ihre Objekte an der (zukünftigen) Nachfrage auszurichten. Auch für Vermarkter bieten solche Tools ganz neue Möglichkeiten, ihre Zielgruppen im Detail zu analysieren und ihre Vermarktungsstrategien entsprechend anzupassen.

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